(Köln) 90m lange Zugverbände auf der Ost-West-Achse – Juristischer Hintergrund bezügl. Ausnahmeregelung

 

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Beschreibung des Vorschlags

Hallo, bezüglich des geplanten Einsatzes von Langzügen auf der Ost-West-Achse in Köln und der Diskussion ob Tunnel oder nicht taucht auch immer wieder die Problematik auf, dass bei oberirdischer Führung Ausnahmeregelungen für die geplanten Langzüge nötig würden, wobei die Stadt Köln diese bislang bei der Bezirksregierung überhaupt noch nicht gestellt hat. Denn es gilt die Regel, dass nach BOStrab die maximale Länge von Zugverbänden 75 m nicht überschritten werden darf, wenn diese Fahrzeuge am Straßenverkehr teilnehmen. Die Diskussionen darüber gab es hier im Forum, oder auch z.B. dem von Drehscheibe online, selbst bei den (Möchtegern-)Experten vom VCD habe ich diese bereits erlebt. Alle diskutieren fleißig mit, bloß so richtige Ahnung scheint kaum jemand zu haben. Ich meine, ich bin natürlich auch kein Experte für Verkehrsrecht, aber da die Verordnung (BOStrab) im Internet frei verfügbar ist, möchte ich mit Euch einmal einen Blick hinein werfen.

Der folgende Exkurs ist auch als Leitfaden zu verstehen, wie Schienentrassen ausgestaltet sein sollten. Denn oftmals reicht es für eine Streckenplanung nicht, einfach nur einen Strich in die Landschaft zu zeichnen. Ein Bisschen mehr Professionalität stünde vielen der hier veröffentlichten Streckenvorschläge auf jeden Fall gut zu Gesicht. Zumindest dann wenn vorgesehen ist, dass der eine oder andere Streckenvorschlag später so oder so ähnlich in die Realität umgesetzt werden sollte.

Es geht im Grundsatz um diese Vorschrift:

Züge, die am Straßenverkehr teilnehmen, dürfen nicht länger als 75 m sein.

Das ist allerdings nur ein Teil der Wahrheit, denn die eigentliche Verordnung sagt ja noch viel mehr aus:

Verordnung über den Bau und Betrieb der Straßenbahnen (Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung – BOStrab)
§ 55 Teilnahme am Straßenverkehr
(1) Auf straßenbündigem Bahnkörper nehmen die Züge am Straßenverkehr teil. Dabei müssen die Fahrzeugführer die sie betreffenden Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung beachten.
(2) Züge, die am Straßenverkehr teilnehmen, dürfen nicht länger als 75 m sein und müssen für andere Verkehrsteilnehmer in ausreichendem Maß erkennbar sein.
(3) Auf besonderen und unabhängigen Bahnkörpern einschließlich der Bahnübergänge im Sinne des § 16 Absatz 4 Satz 4 und 6 nehmen die Züge nicht am Straßenverkehr teil.

Entscheidend ist dann ja wohl die Ausgestaltung des Bahnkörpers. Denn juristisch gesehen nehmen die Straßenbahnen nicht immer am Straßenverkehr teil:

§16 Bahnkörper
(1) Bahnkörper umfassen den Oberbau und den ihn tragenden Unterbau, der aus Erd-, Stütz- oder Ingenieurbauwerken bestehen kann.
(2) Der Unterbau muß unter Beachtung der geologischen und hydrologischen Verhältnisse standsicher sein.
(3) Anfallende Wässer müssen ohne Beeinträchtigung des Bahnbetriebes vom Bahnkörper ableitbar sein.
(4) Bahnkörper sind straßenbündige, besondere oder unabhängige Bahnkörper. Straßenbündige Bahnkörper sind mit ihren Gleisen in Fahrbahnen oder Gehwege eingebettet. Besondere Bahnkörper liegen im Verkehrsraum öffentlicher Straßen, sind jedoch vom übrigen Verkehrsraum mindestens durch Bordsteine oder Hecken oder Baumreihen oder andere ortsfeste körperliche Hindernisse getrennt. Zum besonderen Bahnkörper gehören auch Bahnübergänge nach § 20 Absatz 1 Satz 3 mit Vorrang für die Straßenbahn, wenn sie entsprechend § 20 Absatz 3 oder 4 gesichert sind. Unabhängige Bahnkörper befinden sich auf Grund ihrer Lage oder Bauart außerhalb des Verkehrsraums öffentlicher Straßen. Zum unabhängigen Bahnkörper gehören auch die Bahnübergänge nach § 20 Absatz 1 Satz 2.
(5) An den für das Überqueren durch Fußgänger vorgesehenen Stellen über einen besonderen Bahnkörper müssen zwischen diesem und unmittelbar angrenzenden Fahrbahnen Aufstellflächen für Fußgänger vorhanden sein, wenn das durchgängige Überqueren von Bahnkörper und Straße nicht durch Lichtzeichen geregelt ist. Im Übrigen bleibt die Verantwortung des Straßenbaulastträgers unberührt.
(6) Bei Fahrbetrieb ohne Fahrzeugführer muß durch Einfriedungen oder auf andere Weise das unbefugte Betreten, Befahren oder Benutzen des Bahnkörpers verhindert sein. Wenn es die Betriebssicherheit erfordert, kann die Technische Aufsichtsbehörde dies auf bestimmten Streckenabschnitten auch bei anderen Betriebsarten verlangen.

Die entscheidende Aussage steckt im Absatz (4). Es gibt 3 Arten von Gleiskörpern: Die straßenbündigen, die sich vollständig im Straßenraum befinden und die dann zusammen mit dem MIV benutzt werden. Charakteristisch trifft das auf alle Abschnitte mit „Rillengleis“ zu. Dann gibt es die „Besonderen Bahnkörper“. Diese sind zumindest baulich vom Straßenraum abgetrennt, Bordsteine z.B. reichen bereits. Zum Schluss gibt es noch die „Unabhängigen Baukörper“, welche sich im Gegensatz zu den vorher beschriebenen nicht im Straßenraum befinden. Kreuzungsfrei müssen diese ausdrücklich nicht sein, denn was bei Überqueren z.B. von Straßen bzw. MIV-Fahrbahnen passiert, ist in § 20 beschrieben:

§ 20 Bahnübergänge
(1) Die Straßenbahn hat an höhengleichen Kreuzungen von besonderen und unabhängigen Bahnkörpern mit Straßen, Wegen und Plätzen (Bahnübergängen) Vorrang, soweit die Straßenverkehrs-Ordnung dies bestimmt. Bahnübergänge über unabhängige Bahnkörper sind nach den nachfolgenden Vorschriften zu sichern. An anderen Bahnübergängen oder an Kreuzungen im Bereich straßenbündiger Bahnkörper ist darauf hinzuwirken, dass der Straßenbahnverkehr durch den übrigen Verkehr nicht mehr als unvermeidbar beeinträchtigt wird.
(2) Bahnübergänge im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 mit Vorrang für die Straßenbahn sind durch Übersicht auf die Bahnstrecke zu sichern. Diese ist vorhanden, wenn die übrigen Verkehrsteilnehmer die Bahnstrecke so weit und aus einem solchen Abstand einsehen können, dass sie bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt den Bahnübergang ungefährdet überqueren oder vor ihm anhalten können. Die Übersicht kann nur durch eine technische Sicherung im Sinne des Absatzes 5 ersetzt werden. Bei Bahnübergängen von Fuß- und Radwegen auf Streckenabschnitten mit Fahren auf Sicht genügt eine Lichtzeichenanlage.
(3) Bahnübergänge im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 mit Vorrang für die Straßenbahn müssen nach Absatz 5 technisch gesichert sein, wenn auf dem Bahnübergang Straßenbahnen auf Zugsicherung fahren, auf der kreuzenden Straße schneller als 50 km/h gefahren werden darf oder der Bahnübergang innerhalb eines Tages in der Regel von mehr als 100 Kraftfahrzeugen überquert wird.
(4) Bahnübergänge im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 von Fuß- oder Radwegen mit gegebener Übersicht müssen mit Umlaufsperren, ähnlich wirkenden Einrichtungen oder mit einer Lichtzeichenanlage ausgerüstet sein. Abweichend von Satz 1 kann auf Umlaufsperren, ähnlich wirkende Einrichtungen oder eine Lichtzeichenanlage verzichtet werden, wenn nach den örtlichen Verhältnissen dafür kein Erfordernis besteht und die Technische Aufsichtsbehörde zustimmt. Umlaufsperren sind so zu gestalten, dass die Wegebenutzer der Fahrtrichtung der Straßenbahn entgegen gehen müssen.
(5) Eine technische Sicherung erfordert
1.
Lichtzeichen mit der Farbfolge Gelb – Rot nach Anlage 1 Bild 2, die mit Halbschranken nach Anlage 1 Bild 3 verbunden sein können und
2.
Überwachungssignale Bü 0 und Bü 1 nach Anlage 4 vor dem Bahnübergang oder eine in Zugsicherungsanlagen eingebundene Überwachung der Einrichtungen nach Nummer 1.
Auf Streckenabschnitten mit Fahren auf Sicht dürfen anstelle der in Satz 1 bezeichneten Überwachungssignale auch Fahrsignale nach Anlage 4 unmittelbar vor dem Bahnübergang verwendet werden.

Hier kann man auch den entscheidenden Unterschied zwischen BOStrab und EBO erkennen. Die Bahnübergänge müssen nicht zwingend aufwändig mit Schranken und den damit verbundenen langen Schließzeiten gesichert werden – abhängig von der Geschwindigkeit der Stadtbahn. Bei über 50 km/h muss auch das gegeben sein. Das gilt vor allem bei Strecken außerhalb des Straßenraums (Besonderer Bahnkörper).

Und was bedeutet das jetzt für die Kölner Ost-West-Achse? Ab der (H) Heumarkt Richtung Osten (Linien 1 und 9) liegt ein unabhängiger Gleiskörper vor. Die Bahnübergänge der ehemaligen Vorortbahnstrecken „B“ (nach Bensberg) und „K“ (zum Königsforst) sind dort deutlich erkennbar mit dem „Andreaskreuz“, an den Straßenkreuzungen auch zusätzlich durch Schranken abgesichert. Das Gleiche gilt übrigens auch für die Linie 7 ab Poll, Salmstraße Richtung Zündorf. Der restliche Abschnitt ab „Heumarkt“ bis zur Endhaltestelle „Weiden West“ ist ein besonderer Bahnkörper, auch dort wäre für längere Züge grundsätzlich keine Ausnahmegenehmigung erforderlich. Mit Ausnahme des rund 250 m langen Abschnitts auf der Aachener- bzw. Richard-Wagner-Straße westlich des Habsburgerrings, dort wäre der Umbau wie von der Stadt Köln geplant nötig – bei mir oben auf der Karte grün eingezeichnet. Die Stadtbahn sollte in beiden Richtungen auf besonderem -vom Autoverkehr abgetrennten – Gleiskörper auf der Aachener Straße, der Autoverkehr in beiden Richtungen auf der Richard-Wagner-Straße geführt werden. Eine dann eventuell nötige kreuzungsfreie Überquerung der Stadtbahntrasse durch den Autoverkehr westlich der Eisenbahn wäre zumindest von der Vorschrift her nicht erforderlich, aber aufgrund des momentanen Verkehrsaufkommens wohl unumgänglich. Ab dem Heumarkt bis zum Rudolfplatz sollte die Bahntrasse auf die nördliche Straßenseite verlegt werden. Zur Vermeidung der Kreuzung mit der Stadtbahn sollte der Autoverkehr direkt hinter der Deutzer Brücke durch den Tunnel unterhalb des Maritim-Hotels und dann in beiden Richtungen durch die Pipinstraße geführt werden.

Dieses sollte veranschaulichen, dass 90 m lange Zugverbände grundsätzlich auch ohne Innenstadttunnel und ohne Ausnahmegenehmigung quer durch die Kölner Innenstadt möglich wären. Kritsch würde das erst später mit der ebenfalls geplanten Umstellung der Linie 9 auf Langzüge. Diese wären ab dem Neumarkt Richtung Sülz nicht zulassungsfähig (kein eigener Gleiskörper), wobei dieses nicht das einzige Problem wäre. Denn eine nötige Verlängerung der Haltestellen auf 80 m im Zuge der Zülpicher Straße dürfte alleine schon aus Platzgründen scheitern. Ebenfalls nicht erlaubt wäre dann eine spätere Führung der Linie 9 nach Frechen, dort wäre ebenfalls auf der Dürener Straße in Lindenthal kein eigener („Besonderer“) Gleiskörper möglich.

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5 Kommentare zu “(Köln) 90m lange Zugverbände auf der Ost-West-Achse – Juristischer Hintergrund bezügl. Ausnahmeregelung

  1. Wieso hat die KVB anstatt der neuen 60m langen Wagen nicht einfach 75m lange Bahnen bestellt? Damit hätte man die Maximallänge optimal ausgereizt und bräuchte keine aufwendigen Umbauten.
    Die 60m-Wagen wären zwar schon die längsten der Welt, mit 75m könnte man diesen Titel noch besser gegen Konkurrenz verteidigen.

    1. Zumindest vor der Corona-Krise war das Verkehrsaufkommen auf der Strecke derart gestiegen, dass man deshalb zur Radikallösung greifen wollte. Vom den Fahrgastzahlen her war die Maßnahme jedenfalls gerechtfertigt.

      Die neu bestellten Citadis-Züge von Alstom sind übrigens in Wirklichkeit nicht 60 m lang. Da die Kölner Hauptwerkstatt nur für 30 m lange Fahrzeuge ausgelegt ist, handelt es sich um jeweils zwei 30 m lange Halbzüge, die gegeneinander gekuppelt werden und dadurch durchgehend begehbar sind. Für den Werkstattaufenthalt können die Züge geteilt werden und sind daher am offenen Ende mit einem Notfahrstand ausgestattet.

  2. Grundsätzlich finde ich die Kapazitätserweiterung durch längere Züge sehr gut. Für die 90m langen Züge müssten eigentlich fast alle Haltestellen angepasst werden. Besonders die Haltestellen, die auf der Aachener Straße sich befinden werden auch den Straßenraum verändern.

    Ich sehe aber auch das Problem, dass diese Kapazitätserweiterung auf Dauer nicht gut gehen kann, wenn nicht auch der Takt erhöht wird. Ich würde einen engeren Minutentakt der Linie 1 sehr begrüßen. Statt alle 10 Minuten Bensberg bis Weiden West nun alle 8 Minuten, und Brück bis Junkersdorf alle 8 Minuten. Dazwischen könnte sich noch die Linien 6/7/8/9 gliedern. Das wurde somit einen 120 Sekundentakt ergeben und nach dem Umbau der Ost-West-Achse wäre dieser Takt auch praxistauglich. Linie 1 taktet alle 4 Minuten, Linie 6/7 abwechselnd alle 8 Minuten und Linie 8/9 auch abwechselnd alle 8 Minuten. Ich habe noch die Idee der Linie 6, die über Neubrück fährt mit eingebaut.
    Beispielhafter Fahrplan vom Heumarkt:

    Takt
    Neumarkt
    Deutz

    00
    1 – Weiden West
    1 – Bensberg

    02
    7 – Frechen
    7 – Porz

    04
    1 – Junkersdorf
    1 – Brück

    06
    9 – Sülz
    9 – Rath

    08
    1 – Weiden West
    1 – Bensberg

    10
    6 – Stadtwaldviertel
    8 – Porz

    12
    1 – Junkersdorf
    1 – Brück

    14
    8 – Sülz
    6 – Neubrück

    Eine dichtere Taktung ist nur noch möglich, wenn die Linie 1 ihre eigene Trasse bekommt, dann wäre sogar ein 2:30 Minutentakt (150 Sekunden) für die Linie 1 möglich. Ein 2 Minutentakt ist vermutlich nicht mal in der HVZ nicht erforderlich.

    1. Das mit der Verdichtung der Taktzeit auf der Strecke auf unter 60 Sekunden war auch im Vorfeld der Diskussion um längere Züge ein Thema. Ein 120-Sekunden-Takt pro Richtung besteht jetzt bereits.

      Meine Meinung: Leute, die das fordern, sollten aufgrund mangelnder Intelligenz von der Diskussion ausgeschlossen werden. Das gilt auch und vor allem für Politiker. Eine kürzere Taktzeit bedeutet auch längere Blockade auf der Strecke, wenn dann alle 40 Sekunden eine Bahn aus einer der beiden Richtungen kommt und diese den Überweg für rund 20 Sekunden blockiert. Dann würde es nötig, die Trasse zwischen Deutzer Brücke und Abzweigung Mauritiussteinweg hinter dem Neumarkt mit einem hohen Metallzaun abzusperren, weil das Überqueren dann lebensgefährlich bzw. nicht mehr möglich wäre. Eine derart gelungene städtebauliche Lösung kann man auf der Riehler Straße Richtung Mülheimer Brücke bewundern. Als Alternative blieben nur Unterführungen für die Fußgänger und Radfahrer alle paar Meter. Ich bezweifele doch sehr, dass so eine Maßnahme die Lebensqualität in einer Stadt in besonderem Maße fördern würde.

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